Künstler-Crash

St. Gallen Tagblatt, 10. Juni 2000

 

Viel Erbauliches haben sie jeweils nicht mitzuteilen, die

Kulturkritiker, die wirtschaftliche Vorgänge unter ihre Lupe nehmen: Fantasie-

und Herzlosigkeit im Dienste des fantasie- und herzlosen Mammons wird da den

Markttreibenden schnell vorgeworfen. Immer in der Annahme, dass Kunst und

Kultur in ihrem Wesen herzlich und fantasievoll seien.

Dass sie Unrecht haben, zeigt jetzt die Juni-Nummer des «Schweizer

Wirtschafts-Magazins» «Bilanz». Wirtschaft und Kunst sprechen hier dieselbe

Sprache, auch wenn sie vielleicht nicht dieselben Worte verwenden. Die

Wirtschaft blickt für einmal auf die Kunst und präsentiert in Zusammenarbeit

mit «Kunstsachverständigen» das achte «Bilanz»-«Künstlerrating». Die Artisten

werden auf ihre Ränge gewiesen - in der Rubrik «Leben & Genuss». Schön, dass das Leben und Geniessen auch etwas kosten darf.

Zu jedem Genannten wird die

Preisspanne seiner Werke angegeben. Und dabei geht es ein bisschen wie auf der

Börse zu und her. Die bestplatzierten, also gefragtesten Künstler sind die teuren.

Hinten im «Ranking» sinken die Preise. Und wie die sensationellen

Börsengeschäfte gerät auch die Tabelle der «Bilanz» ein wenig unter

Insider-Verdacht. Die Geschäftsvertreter (Galeristen) einiger Künstler sind

zugleich Mitglieder der Jury, die ihre «Favoriten» nennen durfte. Sie werden

den Wert ihrer eigenen Künstler-Aktien ja nicht künstlich niedrig gehalten

haben.

Dass die Autoren ihren Kunst-«Kompass» als «zuverlässig» bezeichnen, sei

hier nur festgehalten. Es soll ja immer noch «Sachverständige» geben, die die

Börse als einen zuverlässigen Spiegel wirtschaftlicher Potenz betrachten.

Demnach dürfen die aufgelisteten Künstler auf ihren baldigen, sozusagen

zuverlässigen Crash warten.

Matthias Müller