Der Mensch, der ein Pinguin war
St. Galler Tagblatt, 16. Juli 1997
Auf seiner 21. Antarktis-Expedition, nahe der russischen Station Mirny,
ist Bruno Penguin Zehnder gestorben. Seine Fotografien wurden mehrfach
ausgezeichnet, zum Beispiel als Bild des Jahres 1995.
Matthias Müller
«Pingu» mochte er nicht, der sei viel zu süss; indem man das Tier derart
vermenschliche, lasse man es auch an Respekt vor der Kreatur missen. Das
«Nonplusultra» für Bruno Penguin Zehnder war es, im Eis der Antarktis zu
liegen, bei den Pinguinen, sie unter einer Decke liegend zu beobachten, sie zu
fotografieren, ihnen zuzuhören.
Respekt hiess für den am 8. September 1945 geborenen Bad Ragazer, nicht
handelnd in die Welt der Pinguine einzutreten. Hunderte von Kücken sah er in
den eisigen Stürmen sterben, er rettete nicht, einmal nur, aber davon mochte er
nicht erzählen. Auch sein berühmtestes Bild, das in den USA als das
Wissenschafts-Bild des Jahres ausgezeichnet wurde, weist auf die All-Gegenwart
des Todes im grossen Eis hin. Es zeigt, wie ein erwachsener Pinguin den
Schnabel seines Jungen aufzutauen versucht. Ob es gelang? Zehnder hat die
Geschichte nicht zu Ende erzählt.
Dieses Bild entstand während Zehnders
vorletzter, der 20. Expedition in die Antarktis. Bis zum Alter von 30 Jahren
blieb ihm nichts als der Traum von den Pinguinen. 1975 liess er sich auf einem
dänischen Polarschiff als Steward anheuern. Doch zuerst sah er in der Antarktis
nicht Pinguine, sondern Abfall, verfallene Häuser, Ölfässer im Eis. Seither
verfolgte er auf seinen Reisen immer zwei Ziele: Pinguine zu fotografieren und
die Antarktis zu reinigen.Während seines vorletzten Aufenthalts gelang es ihm,
die Besatzung der russischen Basis für sein ökologisches Anliegen zu gewinnen.
Es gibt Fotos, auf denen ist zu sehen, wie Zehnder und die russischen
Mitarbeiter Fässer und Bauschutt aus dem Eis graben. 20 Tonnen kamen so
zusammen.
Ein Pinguin, der redet
War Zehnder Idealist, Forscher, Fotograf, Künstler? Seine Fotografien
hängen in Museen, eines im Museum of Modern Art New York, und anderen Orten,
einige in der Kaserne Neuchlen-Anschwilen. An wissenschaftlichen Kongressen war
er ein gesuchter Redner. Seine Vorträge besuchten alle, alt und jung, sehr
gebildet und weniger gebildet. Zehnder war vieles und doch nur eines: «Ich bin
der einzige Pinguin, der redet.»
Zehnders Testament
Letzten August weilte der Pinguin-Mensch in seiner Heimat. Er wirkte
etwas müde, er war fast rund um die Uhr unterwegs zu Bundesräten, Sponsoren,
Verlagen, Redaktionen, Beamten. Das Gespräch mit ihm gewann frische Energie,
als er von seinen Plänen sprach. Diesen Sommer, in der Antarktis herrscht dann
Winter, gehe es wieder ins Eis. Bei seinen Freunden würde er den «inneren
Frieden» finden, den er hier oder in New York, von wo er sein Werk vermarktete,
jeweils verliere.
Im Vorwort zu einem Kalender fürs Jahr 1998 schreibt er: «Ich
möchte, dass meine Photographie ein Testament wird für dieses schöne,
fürchterliche Land und dessen Einwohner, die Pinguine.» Am 7. Juli, auf dem Weg
zu den Pinguinen, ist Bruno Penguin Zehnder in einem Sturm gestorben.
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